Hanne Kleine - Gründer der Ritze
Die Nacht auf St. Pauli hat noch nicht begonnen. Deutschlands berüchtigste Amüsiermeile rüstet sich zum großen Ansturm. Am Tresen der Reeperbahn-Institution "Zur Ritze", jener legendären Kneipe, in die es viele Hamburg-Besucher zieht, sitzt Kiez-Wirt Hanne Kleine. Er ist zufrieden, hält ein Bier in der Hand: "War mal wieder auf'm Trockendock, ist das erste Bier seit Tagen", sagt der 73jährige.
Seit fast vier Jahrzehnten ist er auf St. Pauli zu Hause und längst selbst wie sein Hinterhof-Lokal mit den gespreizten Frauenbeinen an der Tür zur Legende geworden.
Wer das Milieu im Rotlichtviertel studieren will, ist bei dem Kiez-Urgestein richtig: Ob Prominente, Prostituierte, Touristen, in der "Ritze" sitzen sie nebeneinander. Daß sie nicht über-, sondern miteinander reden, dafür sorgt der resolute Wirt selbst: "Wenn mir einer arrogant oder hochnäsig kommt, setz' ich ihn vor die Tür."
Seine derben Sprüche sind nichts für zarte Gemüter, doch in der "Ritze" erwartet niemand etwas anderes. Weder die Touristen Diana und Jürgen Weinecke aus Krefeld ("Wir kannten die ,Ritze' vom Fernsehen") noch die Winzer vom Stuttgarter Weinfest. Erst recht nicht "Herrin" Susi aus der Herbertstraße, die hier Geburtstag feiert.
Viele Gäste kennt Hanne Kleine persönlich - von denen aber wissen wohl nur wenige, daß er eigentlich Hans-Joachim heißt. Bekannter dürfte der Rest seiner Vergangenheit sein, zumal nicht nur seine Mundart, sondern auch die mit Fotos gepflasterten Wände einiges verraten. 1967 ist der Magdeburger nach Hamburg gekommen, damals Mittelgewichtsboxer der DDR-Nationalmannschaft, der sich außerhalb des Boxrings allerdings nur ungern an Regeln hielt und sich Ärger mit dem Gesetz einhandelte.
Doch statt eines Lebens mit geregelten Arbeitszeiten startete Hanne Kleine mit "Gastronomie und Zimmervermietungen" seine Reeperbahn-Karriere.
Um Reichtum ging es dem gewieften Wirt, der mit seiner Frau in einer Wohnung mitten auf St. Pauli lebt, nie: "Ich bin mein eigener Chef, kann selbst bestimmen, was ich mache." Aus Milieukämpfen habe er sich stets rausgehalten.
In den 80er Jahren erweiterte er sein Lokal um einen Boxkeller. Ursprünglich für die Jungs vom Kiez, doch nach und nach kamen auch Profis wie Eckhard Dagge, Rene Weller, Henry Maske oder Dariusz Michalczewski zum Training. Es dauerte nicht lange, bis Film und Fernsehen das Ambiente für sich entdeckten, wie kürzlich wieder in der "ARD"-Serie Großstadtrevier.
Auch Hanne Kleine, der inzwischen vom Mittel- zum Schwergewicht wechselte, trainiert oft in seinem Keller oder sitzt am Tresen. Der gemütlich wirkende Wirt kann aber auch richtig wütend werden. "Wenn mein Stammplatz nicht frei ist, ärgere ich mich so, daß ich sofort wieder gehe", gesteht er. Ohnehin ist der Vater und Großvater nicht mehr an jedem Tag in der "Ritze", nimmt sich seine "trockenen Phasen" und läßt deshalb auch von jedem Glas den letzten Schluck übrig. "Aber ein Kneipier, der gar nicht trinkt, ist wie ein Bademeister, der nicht schwimmen kann."